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"Die Hälfte unserer Stromproduktion wird bis 2050 nicht gedeckt sein."

Aktualisiert: 16. Okt. 2023

Mit der Mission "Nicht links, nicht rechts, sondern vorwärts!" strebt Nationalrat Christian Wasserfallen seine fünfte Legislatur an. Wie es um unsere Versorgungssicherheit steht, wieso er eine fünfte Amtszeit anstrebt und vieles mehr, erzählt er im Interview.

1. Die Energiekrise ist ausgeblieben. Warum sollten sich die Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz weiter Sorgen machen?

Bei der Energiekrise oder der mangelnden Versorgungssicherheit mit Strom gilt es zwei zeitliche Dimensionen voneinander zu unterscheiden: Kurzfristigkeit und Langfristigkeit. Kurzfristig kommen wir im Winterhalbjahr stark unter Druck. Einerseits, weil wir selbst nicht genug Produktionskapazität haben und andererseits, weil wir nach der Energiestrategie vor allem Strom aus dem Ausland importieren sollten. Das funktioniert aber nicht, wenn in unseren Nachbarländern ebenfalls nicht genug Strom produziert wird.


Langfristig soll die Schweiz aus der Kernenergie aussteigen. Gleichzeitig haben wir aber keine Alternative dazu, die in dieser Grössenordnung wintersicher ständig verfügbar sein wird. Zudem wird der Stromverbrauch klar ansteigen. Heute sind wir bei rund 60 TWh Stromproduktion und Verbrauch, wenn wir davon 20 TWh aus der wegfallenden Kernenergie abziehen, dann sind wir somit nur noch bei 40 TWh. Bis 2050 rechnen wir jedoch mit einem Verbrauch von 80 TWh und mehr. Das heisst, dass die Hälfte unserer Stromproduktion langfristig fehlt!


2. Der Bundesrat hat letzten Herbst zum Stromsparen aufgerufen. Es wurden aber gerade mal 5% eingespart. Wie kann man der drohende Energieknappheit entgegenwirken?

Wir hatten einen milden Winter, wo weniger elektrische Energie verbraucht wurde. Der Stromverbrauch ist ebenfalls abhängig von der Wirtschaft. Denn je mehr die Industrie produziert, desto mehr Strom wird schlussendlich verbraucht. Diese Frage wurde von der FDP bereits aufgenommen. Wir möchten herausfinden, ob es Möglichkeiten gibt energieintensive Prozesse in den kritischen Wintermonaten Januar, Februar, März und April zu reduzieren.


Zudem könnten die Arbeitszeiten ausgeglichener verteilt werden, sodass nicht alle im selben Moment viel Strom verbrauchen. In den Energieperspektiven des Bundes fliessen verschiedene Faktoren wie zum Beispiel das Bevölkerungswachstum und das Wirtschaftswachstum ein. Je mehr Personen in unserem Land wohnen, desto mehr Energie wird benötigt. Die fortschreitende Elektromobilität ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. All diese Faktoren sind aufeinander abzustimmen. Am Ende braucht die Schweiz jedoch viel mehr Stromproduktion.


3. Warum ist die Versorgungssicherheit durch in der Schweiz produzierten Strom so wichtig?

Die Autarkie, den Strom immer selbst innerhalb der Landesgrenzen zu produzieren ist zu teuer. Das war noch nie Realität in der Schweiz. In Europa fliessen grosse Mengen an Strom, von denen wir profitieren. Für mich ist entscheidend, dass wir das Energiesystem als ein Gesamtsystem anschauen. Fakt ist, dass im Gegensatz zu heute die Hälfte der Stromversorgung nicht gedeckt ist und das macht mir grosse Sorgen.


Die Versorgungssicherheit mit Elektrizität hängt von vier verschiedenen Bestandteilen ab. Der erste ist die Produktion, der Zweite der Verbrauch, der Dritte der Import von Strom und der vierte der Export. Alle diese 4 Bestandteile der Gleichung müssen stets ausgeglichen sein, sodass wir zu jeder Sekunde ausreichend Strom haben. Diese Waage muss immer schön ausgeglichen sein. Genau das ist die riesige Herausforderung. Die Balance zwischen Produktion, Verbrauch, Import und Export muss immer stimmen.


Das heisst, dass die Schweiz mehr Kraftwerke braucht und gleichzeitig im internationalen Netz eingebettet sein muss. Effizienzmassnahmen sind vor allem dort wichtig, wo es um stromintensive Prozesse geht, die wir bei Bedarf minimieren oder wenigstens optimieren können.


4. Wasserkraftwerke leisten einen Beitrag zur Schweizer Stromversorgung. Wie kann man das Potenzial besser ausnutzen?

Aufgrund schärferer Bestimmungen zu den Restwassermengen wird die Stromproduktion aus Wasserkraft zunehmend kleiner. Hier gilt es Gegensteuer zu geben, dass mit den vorhandenen Kraftwerken möglichst viel Strom produziert werden kann. Sonst sind noch mehr Kraftwerke in oftmals unberührten Landschaften zu bauen.


Für die Mehrheitsfähigkeit in der Bevölkerung ist der Ausbau der Wasserkraft in Gebieten anzustreben, die schon belastet sind. Wie zum Beispiel im Grimselgebiet. Hier gibt es beträchtliches Ausbaupotential.


5. Würde der Ausbau der Wasserkraftwerke die angestrebte Versorgungssicherheit sicherstellen? Wenn Nein, welche Alternativen sehen Sie?

Das würde bei weitem nicht reichen. Im Sommer kann Fotovoltaik durchaus einen Teil zur Versorgung beitragen. Dies hängt wesentlich davon ab, ob man diese Menge an Fotovoltaik jeweils speichern kann oder nicht. Wenn sich diese Menge nicht für den Winterspeichern lässt, ist sie wenig wert. Wenn Fotovoltaik im Sommer zu viel Strom zur falschen Zeit produziert, dann wird die Stromversorgung genau gleich instabil und die Waage kippt.


Unsere einzige zusätzliche Alternative im Winter ist derzeit das Ölkraftwerk in Birr, welches 450 Mio. Franken gekostet hat. Aufgrund unserer Klimaziele ist dieses Kraftwerk nicht vertretbar. Dieses Kraftwerkt verbrennt pro Stunde ca. 70'000 Liter. Leider wurde das im Kanton Bern stehende Kernkraftwerk Mühleberg ausserbetrieb genommen, welches aus wirtschaftlichen Gründen nötig war, jedoch der Versorgungssicherheit stark geschadet hat.


Wenn wir den fossilen Ausstieg bis 2050 erreichen möchten, müssen wir gut 2/3 von unserem Gesamtenergiebedarf, der zurzeit immer noch von fossilen Energieträgern abhängt, ersetzen. Ansonsten werden wir unser netto null ziel niemals erreichen.


In der Summe ist für das Fazit klar: Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, braucht es immense Mengen an CO2-freier Stromproduktion. Ohne den massiven Ausbau der Wasserkraft und neuen Kernkraftwerken werden wir das bis in 27 Jahren nicht schaffen.


6. Sie streben eine fünfte Legislatur im Nationalrat an. Was motiviert Sie dieses Amt weiter auszuüben?

Mich treiben Themen wie unsere Energieversorgung an. Dort haben wir die grössten ungelösten Probleme, welche gravierende Konsequenzen haben werden.



Zusätzlich beschäftigt mich die Migrationsfrage. Wir müssen als Freisinnige dort Lösungen bringen. Nach dem Motto: Harte aber faire Asylpolitik! Das ist ein Problem, das den Leuten unter den Nägeln brennt.

Bei der Zuwanderung sind die Zahlen momentan sehr hoch. Allein im Jahr 2022 betrug der Saldo plus 81'000 Menschen – also eine «Stadt Luzern» mehr.


Es braucht Klarheit in der Beziehung zur EU. Neue Verträge mit der EU haben für die Schweiz Vorteile zu liefern. Als Spitzennation in der Forschung gehört die Schweiz wieder ins Forschungsprogramm «Horizon Europe» der EU integriert. Im Bereich Strom soll die Versorgungssicherheit gegenseitig gestärkt werden. Bei den institutionellen Fragen ist unsere Referendumsdemokratie zu respektieren und eine Einwanderung in die Schweizer Sozialwerke ist nicht zuzulassen.


All diese Themen werden mich in meiner nächsten Legislatur sehr beschäftigen – sehr spannende Zeiten.


7. Wer sich exponiert hat nicht nur Freunde. Wie gehen Sie mit Kritik um?

Da gibt es zwei verschiedene Arten von Kritik. Einmal die mediale Kritik und einmal die persönliche Kritik. Bei der medialen Kritik hatte ich mich anfangs von negativen Kommentaren in den Medien stressen lassen. Dass man negativ in die Presse kommt, ärgert mich heute nicht mehr. Die Halbwertszeit dieser News ist kurz und nächste Woche wird wieder auf anderen Themen herumgehackt – leider eine triste Zusammenfassung des heutigen Journalismus.


Bei der persönlichen Kritik kommt es darauf an, ob es sich um eine berechtigte Kritik handelt oder um eine Beleidigung. Bei berechtigter Kritik bin ich sehr gerne bereit mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Wenn es sich aber unberechtigte oder gemeine Kritik handelt, dann gehe ich auf die Kommentare nicht ein und ehre diese mit Ignoranz.


8. Ist es durch Social Media schwieriger geworden?

Die anonymen Kommentatoren kennen manchmal keine Grenzen.

Social Media hat positive Seiten. Zum Beispiel kann man seine politischen Positionen unmittelbar entwickeln und schauen, wie diese Meinung bei anderen Personen ankommt. Früher zum Beispiel musste man sich über Leserbriefe jeweils in der Kommentarspalte melden und dann tagelang auf Feedback warten.


Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass man sich von solchen Plattformen nicht beeinflussen lassen darf. Sonst wird man schnell zu einer getriebenen Person. Seine säuberlich entwickelte Position gegen Widerstände zu halten, ist wichtig. Zudem muss man nicht auf alles reagieren!


9. Ein Politiker wird vor allem daran gemessen, ob er Versprechen eingehalten oder Veränderungen herführen konnte. Was sehen Sie als Ihre grössten Erfolge als Parlamentarier?

Eines meiner schönsten Erfolge hatte ich in der Bildungspolitik. Wir haben es geschafft, dass die Fachhochschulen im Hochschulraum, ohne weitere Auflagen, integriert worden sind. Hier konnte ich massgebend meinen Beitrag dazu leisten.


Dank der Energieagentur der Wirtschaft werden die Klimaschutzziele im Industriesektor bis heute übererfüllt. Heute gibt es rund 4500 Unternehmen, die konsequent in die Verminderung von CO2-Ausstoss und Energieeffizienzmassnahmen investieren . Das ist mit Abstand grösste Klimaschutzbestandteil, der in der Schweiz erreicht wurde. Das war ein Modell, für welches ich mich stark engagiert habe und eng mit den Wirtschaftsverbänden zusammengearbeitet habe.


10. Mit welchen Zielen gehen Sie in den Wahlkampf? Gibt es beim fünften Mal noch Überraschungen?

Mein grösstes Ziel ist es, dass wir den dritten Sitz im Nationalrat für die FDP Kanton Bern erobern können und dass Sandra Hess eine gute Ausgangslage für den zweiten Wahlgang schaffen kann.


Der Kanton Bern ist zu stark link-grün geprägt. Das Geschäftsmodell, basierend auf einer guten Milliarde aus dem nationalen Finanzausgleich und die nicht finanzierbaren Wohlfühloasen gerade in der Stadt Bern, wird nicht ewig aufgehen. Es braucht mehr Personen in der Politik, welche nicht nur das Erbe aus der Vergangenheit verwalten möchten, sondern und welche etwas gestalten wollen. Hier hat die FDP viele Persönlichkeiten zu bieten.


Wir setzen uns für neue Wirtschaftszweige, starke Infrastrukturen, bis hin zu guten Bildungschancen ein!

Für all diese Themen machen wir uns stark und gemeinsam holen wir uns den dritten Sitz!


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